Bereits im Januar hatte der vierstündige Gemeinschaftskundekurs der Jahrgangsstufe 1 den Landtag besucht, eine Plenarsitzung miterlebt und im Anschluss beim Abgeordnetengespräch mit Konrad Epple (CDU) und Dr. Markus Rösler (Grüne) diskutiert. Im Anschluss war das Bedauern groß gewesen, dass die Zeit für das Gespräch so kurz war, sodass Lehrer Jürgen Weidenhiller am Freitag zur „zweiten Runde“ eingeladen hatte. Zur allgemeinen Freude hatten sowohl Epple und Rösler als auch der ehemalige Innenminister Reinhold Gall (SPD) die Einladung angenommen und stellten sich nun den kritischen Fragen der Zehnt- und Elftklässler.
Zunächst völlig einmütig lobten die Abgeordneten das Politikinteresse der Schülerinnen und Schüler, fanden in der Vorstellungsrunde gemeinsame Hobbys wie das Ehrenamt bei der Feuerwehr und das bereits in der Jugend gewachsene Interesse an der Politik. Obwohl er nicht aus dem Wahlkreis stamme, mache er solche Besuche gerne, betonte Gall, denn er wolle die Schüler spüren lassen, dass man sich mit ihm auf Augenhöhe unterhalten könne.
Bei den folgenden Fragen wurde schnell deutlich, mit welch offenen Augen und Ohren die Schüler durch die Welt gehen und wie sensibel sie für die drängenden Fragen der Gegenwart sind. Wie man im Landtag auf die wachsende Wohnungsnot reagiere, wollten sie beispielsweise wissen, wie die Mitglieder des Landtages mit Lobbyismus umgingen oder ob man auf Probleme, wie sie kürzlich bei der Essener Tafel entstanden seien, nicht von staatlicher Seite reagieren müsse.
Bereits bei der Wohnraumfrage gingen natürlich die Antworten der Abgeordneten zum Teil auseinander. Ob die von Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut ins Leben gerufene Wohnraum-Allianz die Probleme lösen könne, stellte Rösler beispielsweise in Frage und gab zu bedenken, dass es zur Zeit gar nicht genug Baufirmen gebe, um all die Bauprojekte umzusetzen, die man plane.
Einig war man sich darin, dass Lobbyismus auf Landtagsebene eher eine geringfügige Rolle spiele, zumindest wenn man Lobbyismus als Einmischung von außen versteht, mit dem Ziel, die Gesetzgebung in oft finanziellem Eigeninteresse zu beeinflussen. Lobbyismus als Interessenvertretung sei dagegen legitim, so Gall, man müsse ja beispielsweise den Hebammenverband oder den Tagesmütterverein hören, um sich ein Bild machen zu können. Auch Epple bekräftige das: „Ich bin ja froh, wenn einer kommt. Dann hör ich von dem was, aber entscheiden tu ich selber.“
Handlungsbedarf von Seiten des Landtags im Tafel-Problem sahen alle drei nicht gegeben. Rösler warnte stattdessen vor zu viel Bürokratie. „Es gehört im Leben dazu, dass auch mal was passiert“, bestätigte Gall. Man müsse sich jedoch fragen, warum Menschen in Deutschland überhaupt Angebote wie das der Tafeln in Anspruch nehmen müssen. Er sei daher froh, „dass es Menschen gibt, die sagen: Wenn der Staat es nicht anpackt, dann tu ich’s.“
Die Zukunftsfähigkeit der EU beurteilten die drei dagegen sehr unterschiedlich. Während Epple betonte, dass man gerade in Baden-Württemberg in wirtschaftlicher Hinsicht von der EU profitiere und sie daher nicht wegzudenken sei, wenngleich man hier und da etwas verändern müsse, schlug Gall kritischere Töne an. Europa sei wichtig, die Vorzüge der EU in puncto Reisefreiheit und Handel nicht zu unterschätzen, aber man müsse sich wieder stärker auf die Grundwerte rückbesinnen und überprüfen, inwiefern hier noch Solidarität und Gerechtigkeit verwirklicht würden. „Panta rhei“, betonte auch Rösler, alles fließt. Auch die EU müsse sich an veränderte Rahmenbedingungen anpassen.
Großes Interesse hatten die Schüler zudem an der Frage, wie man im Landtag mit den neuen Kollegen aus der AfD umgehe, was den Abgeordneten zunächst ein Schnaufen und Hochziehen der Augenbrauen entlockte. Man gehe korrekt mit ihnen um, darin war man sich einig, wenn sie beispielsweise ein Anrecht auf bestimmte Positionen haben, so gestehe man ihnen dieses selbstverständlich zu, denn sie seien nunmal gewählt. Aber es sei mit der AfD ein anderer Gesprächs- und Politikstil in den Landtag eingezogen, den man ablehne. Die einzige Lösung sei allerdings die sachliche Auseinandersetzung auf inhaltlicher Ebene. Wer beispielsweise den Klimawandel leugne oder Menschen einen relativen Wert beimesse, könne leicht widerlegt werden.
Die Angst um ihre Versorgung im Rentenalter konnten die Abgeordneten den Schülern leider nicht nehmen. Sie appellierten lediglich an die Eigenverantwortung der Schüler, sich rechtzeitig mit privater Vorsorge zu beschäftigen. Ziel sei zwar, das Rentenniveau zu stabilisieren, aber es sei schwierig, ein so komplexes System mehr als sieben Jahre vorauszurechnen. Dass man immer länger arbeiten müsse, sei abzusehen, so Epple. „Eine flexible Gestaltung ist hier logisch nötig“, betonte Rösler.
Eine Schülerin zeigte sich sichtlich enttäuscht, dass sie, obwohl sie in Vaihingen zur Schule gehe und viel Zeit in der Stadt verbringe, nicht für den Jugendgemeinderat kandidieren könne, da sie aus Eberdingen komme. Dies könne man zwar leider nicht ändern, da der Wohnort ausschlaggebend sei, erklärte Rösler, doch alle drei ermunterten die Schüler, Kontakt zu den Gemeinderäten aufzunehmen, sich anderweitig einzubringen oder sogar im eigenen Ort einen Jugendgemeinderat ins Leben zu rufen. Gerade an die Mädchen appellierten sie, politisch aktiv zu werden, um auch ohne Frauenquote in Zukunft den Anteil der Frauen im Landtag zu erhöhen.
Nach 90 spannenden Minuten, in denen die Abgeordneten kaum Zeit zum Luftholen hatten, blieben den Schülern zwar noch ein paar offene Fragen, gleichzeitig aber auch das Gefühl, einige deutliche Antworten ohne das häufig ausweichende, unverbindliche Politikgerede erhalten zu haben, das ihnen aus den Medien bekannt ist. Die besondere Gelegenheit, mit Mitgliedern des Landtages auf Augenhöhe sprechen zu können, schätzten die Schüler sehr und waren besonders über die Momente der Uneinigkeit froh. „So konnte man gut sehen, wo sich die Parteien unterscheiden und was ihnen im Einzelnen besonders wichtig ist“, resümierte eine Schülerin.
Bericht: Hx