Drei Schülerinnen präsentieren Kurzfilm „Jüdisches Leben in Freudental“
„Denkt nach, bevor ihr schnell parteiisch seid. Denkt nach!“ Mit diesen Worten ihres jüdischen Gesprächspartners endet der Film „Jüdisches Leben in Freudental“, den Elin Steger, Leni Müller und Paia Wagner gedreht haben. Die Worte hallen noch lange nach. Zuvor hat er den drei Schülerinnen aus der 10a des Stromberg-Gymnasiums erzählt, wie jüdische Geschichten und Bräuche seinen Alltag und sein Familienleben als Vater von vier Kindern prägen. Aber auch, wie seit dem 7. Oktober 2023 die Sorge vor antisemitischen Übergriffen größer geworden ist. Seine beiden Söhne gehen auf die jüdische Schule. „Auf einmal haben wir sie wieder zur Schule gebracht und abgeholt.“
Die drei Gymnasiastinnen haben den Familienvater im Frühsommer 2024 im Rahmen des Familientags des Pädagogisch-Kulturellen Centrums Ehemalige Synagoge Freudental (PKC) für ihr Filmprojekt interviewt. Von dem Wettbewerb „Euer Film im Kino – Jüdisches Leben heute“, ausgeschrieben von der KulturRegion Stuttgart, hatten sie von ihrer Religionslehrerin Christiane Pfeiffer erfahren. „Christen und Juden damals und heute“ war das Thema im Unterricht gewesen. Die Schülerinnen und Schüler sollten sich zunächst mit Baden-Württemberg zur Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzen, mit besonderem Fokus auf Vaihingen, um anschließend zu recherchieren, welche Erinnerungskultur besteht, wie eine Begegnung mit der jüdischen Religion und Kultur heute möglich ist und wo Antisemitismus in unserer Zeit erfahren wird. Als Lernprodukt sollte ein „Lapbook“, also ein auffaltbares Poster mit Informationen und Bildern, entstehen – oder eben ein Film, der für den Wettbewerb der KulturRegion Stuttgart eingereicht werden könnte.
Die drei Mädchen entschieden sich schnell für den Film. „Wir hatten einfach Lust, mal etwas über die normale Bearbeitung von Themen im Unterricht hinaus zu machen“, erklärt Elin. Obwohl sie mit viel Enthusiasmus ans Werk gingen, erwies sich der Weg als steinig. Eine hochbetagte Zeitzeugin konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht vor die Kamera treten, andere Personen und Institutionen hatten angesichts der dramatischen weltpolitischen Lage Bedenken, sich öffentlich zu ihren Erfahrungen mit Antisemitismus zu äußern. „Wir waren oft kurz davor, Frau Pfeiffer zu sagen, wir machen doch keinen Film“, geben die Schülerinnen zu. Das Ergebnis sei nun anders geworden, „als wir es ursprünglich geplant hatten, aber es ist gut geworden“, freut sich Paia.
Letztlich war es der Kontakt zu Michael Volz, Leiter für Pädagogik und Kultur am PKC Freudental, der das Projekt in die Erfolgsspur brachte. Volz lud die Schülerinnen zum Familientag des PKC im Juni 2024 ein, stand selbst als Interviewpartner zur Verfügung und stellte sie dem bereits erwähnten jüdischen Familienvater vor. Zudem konnten die Mädchen bei der Veranstaltung Aufnahmen für ihren Film sammeln. Dabei an ihrer Seite: Niklas Link, CEO der VAGE Studios in Stuttgart. Link stand Elin, Paia und Leni für die Dauer des Projekts als Mentor zur Verfügung. Er gab ihnen eine Einweisung in filmische Techniken, lieh ihnen auch die benötigte Ausrüstung, darunter eine Drohne, mit der sie Luftaufnahmen von Freudental für ihren Film anfertigen konnte. Als alle Aufnahmen im Kasten waren, unterstützte er sie bei einem letzten Treffen am Stromberg-Gymnasium dabei, diese zu schneiden, mit Musik zu unterlegen und sie zu einem stimmigen Gesamtprodukt zusammenzufügen.
Neben Kenntnissen über das Judentum haben sich die Gymnasiastinnen bei der Arbeit an ihrem Film noch weitere Kompetenzen angeeignet. Alle drei verfügen nun über Grundkenntnisse übers Filmemachen, haben sich darin geübt, mit der dazu notwendigen Technik umzugehen und haben ihr Durchhaltevermögen trainiert. Für Leni war eine der wichtigsten Erkenntnisse, „dass am Ende immer etwas rauskommt, wenn man nur dranbleibt“.
Letztlich hat sich die Mühe gelohnt: Als eine von insgesamt vier Gruppen wurden die drei Mädchen an einem Sonntag im November zur Premierenfeier ins Atelier am Bollwerk in Stuttgart eingeladen, um sich gemeinsam mit Publikum ihren Film auf der großen Kinoleinwand anzusehen. Eine Rangfolge für die prämierten Filme wurde nicht festgelegt, der Preis bestand darin, ihr Werk dem Publikum auf einer großen Kinoleinwand vorzuführen. Kostenloses Popcorn, Schokolade und einen Gutschein für ein zukünftiges Kinoerlebnis gab es noch dazu.
Ob sich ihrer Meinung nach denn viele Menschen ihren Film ansehen sollten, wollte Moderatorin Viktoria Merkulova (WDR) von den Schülerinnen wissen. Unbedingt, finden sie – schon, um zu sehen, „wie Leute täglich mit Antisemitimsmus umgehen müssen, dass er immer noch so präsent ist“, meint Paia. „Kaum jemand mehr weiß, dass Antisemitismus so nah ist, und wie es Betroffenen damit geht“, ergänzt Elin.
Dank der Arbeit der drei Mädchen wissen es nun einige Menschen mehr. Und wie schon PKC-Mitarbeiter Michael Volz im Interview sagte: „Bildung ist die friedlichste Art, etwas gegen Antisemitismus zu machen.“ Genau dazu haben die Gymnasiastinnen einen wichtigen Beitrag geleistet.
Info: Der Film „Jüdisches Leben in Freudental“ kann gemeinsam mit den übrigen Wettbewerbsbeiträgen auf der Homepage der KulturRegion Stuttgart, www.kulturregion-stuttgart.de, angesehen werden.
Bericht: Sy, Bild: Pf